Stellungnahme der Generalprokuratur zum Entwurf eines Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2024 („Handysicherstellung“ u.a.)
Die Generalprokuratur erstattet zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozeßordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Finanzstrafgesetz, das Justizbetreuungsagentur-Gesetz und das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 geändert werden (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024; [349/ME und 4125/A 27. GP]) folgende
S t e l l u n g n a h m e
– zu Art 1 Z 1, 2, 13, 14, 33, 34, 37, 38, 40 bis 42, 44, 45, 50, 57 und 63 (§§ 47a Abs 4a und 7, 109 Z 1 lit a, Z 2a bis 2e, 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4, 111 Abs 1 und 2, 112 Abs 1 und 2, 112a Abs 1, 115f bis 115l, 157 Abs 2 und 281 Abs 1 Z 3 StPO samt Inhaltsverzeichnis und Überschriften):
Die in § 47a Abs 4a StPO in Aussicht genommene (durch § 2 Abs 5b JBA-G umzusetzende) Unterstützung des Rechtsschutzbeauftragten durch juristische, administrative und technische Mitarbeiter wird – mit Blick auf dessen zu erwartenden erheblichen Mehraufwand (§ 47a Abs 7 iVm § 115l StPO) – ausdrücklich begrüßt.
Sollte durch § 47a Abs 4a letzter Satz StPO künftig generell die (bislang praktizierte) Dienstzuteilung von richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Organen (als Mitarbeiter) ausgeschlossen werden, so erscheint der damit verbundene Verlust an Expertise einer effektiven Aufgabenbesorgung (§ 47a Abs 7 StPO) durch den Rechtsschutzbeauftragten jedoch nicht förderlich.
Angemerkt sei, dass sich dem Rechtsschutzbeauftragten zugeteilte staatsanwaltschaftliche Organe (selbst bei einer bloß teilweisen Dienstzuteilung) bei der Mitarbeit an der Prüfung von selbst bearbeiteten Akten, aber auch bei auf die „eigene“ Staatsanwaltschaft bezogenen Prüfungsvorgängen (in sinngemäßer Anwendung von § 47 Abs 1 Z 2 und 3 StPO) der Mitwirkung enthalten können (gleiches gilt sinngemäß auch für richterliche Organe [vgl § 43 Abs 1 Z 1 und 3 StPO]).
Der in Aussicht genommene Wortlaut der Definition des § 109 Z 1 lit a StPO bringt nicht klar die gesetzgeberische Absicht zum Ausdruck, dass (auch) Datenträger und Daten (vgl § 111 Abs 2 StPO idF des Entwurfs) grundsätzlich weiterhin der Sicherstellung – wie etwa jener eines Mobiltelefons aus Beweisgründen (zur Untersuchung auf daktyloskopische Spuren), zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche (wie der Herausgabe eines geraubten Mobiltelefons an das Opfer) oder zur Sicherung vermögensrechtlicher Anordnungen (wie zur Konfiskation eines zur Abwicklung von Suchtgiftgeschäften benutzten Mobiltelefons) – unterliegen sollen (vgl § 109 Z 2a lit c StPO).
Im Zusammenhalt mit der in Aussicht genommenen Fassung des § 111 Abs 2 StPO ist weiters darauf hinzuweisen, dass sich die Sicherstellung von Daten, die mittels Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten an öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Orten aufgenommen wurden, regelmäßig nicht bloß auf einen bestimmten Zeitpunkt (so aber S 13 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 27), sondern vielmehr auf einen bestimmten (durchaus auch längeren) Zeitraum beziehen wird, weshalb auch bei solchen Daten in weiterer Folge eine (allenfalls auch durch den Einsatz entsprechender Software unterstützte) „Auswertung“ durch die Strafverfolgungsorgane stattfindet (wie etwa die Auswertung von Videoaufzeichnungen über einen bestimmten [Tat-] Zeitraum [etwa von Kameras einer Mautstelle zur Erstellung von Bewegungsprofilen von bestimmten Kraftfahrzeugen {so Rz 7 in 14 Os 128/21m; vgl auch 12 Os 161/14i, 15 Os 22/15x zum Einsatz solcher „Bewegungsprofile“}] und deren Abgleich mit weiteren Beweisergebnissen).
Da eine solche „Auswertung“ von (nicht privat auf einem PC, Notebook oder Mobiltelefon gespeicherten) Daten grundsätzlich von dem in §§ 115h und 115i StPO in Aussicht genommenen Verfahren zu unterscheiden ist und im Übrigen auch unter dem Aspekt der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Dezember 2023, G 352/2021-46, aufgestellten Vorgaben (vgl Rz 65 ff) unbedenklich erscheint, weil damit bloß öffentlich gesetztes Verhalten von Personen betroffen ist, wird angeregt, die Sicherstellung (und „Auswertung“) von Daten iSd § 111 Abs 2 StPO generell als „Gegenausnahme“ zur Sicherstellung von Datenträgern und Daten zum Zweck der Auswertung von Daten iSd § 109 Z 2a StPO zu konzipieren und den vom Verfassungsgerichtshof eingeräumten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum in diesem Umfang zu nutzen, um die „Auswertung“ solcher Daten (iSd § 111 Abs 2 StPO) nicht den in §§ 115f ff StPO normierten Vorgaben zu unterstellen.
Es wird daher zur Erwägung gestellt, § 109 Z 1 lit a StPO wie folgt zu formulieren:
„a. die vorläufige Begründung der Verfügungsmacht über Gegenstände, Daten und Vermögenswerte, außer über Datenträger und Daten zum Zweck der Auswertung von Daten (Z 2a), es sei denn, es handelt sich um die Auswertung von Daten, die mittels Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten an öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Orten aufgenommen wurden (§ 111 Abs. 2), und“.
Die in den §§ 115f, 115g und (teilweise) 115i (iVm § 109 Z 2a) StPO in Aussicht genommenen Bestimmungen entsprechen nach Ansicht der Generalprokuratur den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs in seinem Erkenntnis vom 14. Dezember 2023, G 352/2021-46 (vgl insb Rz 78 und 96 [zum Richtervorbehalt] sowie Rz 100 f [zu Kontrollrechten des Betroffenen bei der Datenauswertung]). Die künftig gebotene (auch zeitraummäßige) Umschreibung der zu beschlagnahmenden Datenkategorien und Dateninhalte (§ 115f Abs 3 StPO) ist geeignet, die auszuwertenden Datenmengen in einer sinnvollen Weise zu begrenzen und dadurch auch eine verfahrensbeschleunigende Wirkung zu entfalten. Gegen die in Aussicht genommenen Bestimmungen der §§ 109 Z 2a, 115f Abs 1 bis 4 und 6, 115g Abs 1 erster Satz, Abs 2 und 3 sowie 115i Abs 1 dritter Satz, Abs 2 erster Satz, Abs 3, Abs 4 erster Satz und Abs 5 StPO bestehen aus Sicht der Generalprokuratur daher keine grundsätzlichen Bedenken.
Zur Regelung der Aufbereitung der Daten nach § 109 Z 2b bis 2e iVm § 115h StPO ist zunächst allgemein anzumerken, dass die dazu angeführten Erwägungen in (zu) hohem Ausmaß auf den derzeit faktisch bestehenden Organisationseinheiten der Sicherheitsbehörden und deren (angenommenen) technischen Möglichkeiten basieren (S 18 f der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 32). Diese Bestimmungen können daher sowohl bei allfälligen organisatorischen Umstrukturierungen im Bereich der Sicherheitsbehörden als auch durch (IT-) technische Fortschritte sehr rasch obsolet werden oder aber den Einsatz neuer Technologie behindern und insofern dem Ziel einer effizienten Strafverfolgung entgegenstehen. In Ansehung des Vorgangs der Aufbereitung (und der anschließenden Auswertung [iSd § 115i StPO]) der beschlagnahmten Daten (§ 115h StPO) wäre insgesamt ein höherer Abstraktionsgrad der gesetzlichen Regeln wünschenswert.
Die in Aussicht genommene – durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14. Dezember 2023, G 352/2021-46, indes nicht gebotene (Rz 98 bis 102) – strikte faktische Trennung der „ausschließlich für die forensische Aufbereitung von Datenträgern und Daten zuständige[n] Organisationseinheit der Kriminalpolizei“ von den für die Führung des Ermittlungsverfahrens zuständigen Organisationseinheiten der Kriminalpolizei sowie der Staatsanwaltschaft iSd § 115h Abs 1 StPO ist unter dem Blickpunkt einer raschen und effizienten Strafverfolgung bedenklich und unter Bedachtnahme auf den (auch bei einem nachträglichen weitergehenden Datenzugriff, welcher von der ursprünglichen richterlichen Genehmigung nicht umfasst ist) vorgesehenen Richtervorbehalt iSd vorgeschlagenen § 115f Abs 2 und 5 StPO sowie mit Blick auf das vorgesehene Verwertungsverbot nach § 115j StPO entbehrlich.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Umstand in Rechnung zu stellen, dass sich die „Auswertung“ der Daten – schon aus Kapazitätsgründen – regelmäßig (anders als die § 115i Abs 1 StPO offenkundig in faktischer Hinsicht zugrunde liegenden Annahmen voraussetzen) nicht auf eine umfassende und elektronisch unterstützte Untersuchung von Datenträgern und Daten bezieht, sondern sich vielfach auf eine punktuelle Einsichtnahme beschränkt, im Falle der Betretung eines mutmaßlichen Suchtgifthändlers etwa auf eine kursorische Durchsicht der auf seinem Mobiltelefon allenfalls vorhandenen relevanten Chatverläufe. Dass in solchen Fällen eine (in diesem Sinne verstandene) „Auswertung“ rascher und gezielt (nur) durch den ermittelnden Kriminalbeamten erfolgen kann, liegt auf der Hand. Weshalb ein ausreichender Rechtsschutz dann nicht bereits durch § 115f Abs 1 bis 3 StPO und § 115i Abs 3 StPO sichergestellt wäre, ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, zumal gerade in solchen Fällen regelmäßig sofort eine Konfrontation des Beschuldigten mit den ihn als belastend erachteten Nachrichten erfolgt.
Gerade mit diesem auch in den Erläuterungen erwähnten Beispiel der Beschlagnahme eines Mobiltelefons nach der Betretung eines der Suchtgiftkriminalität verdächtigen Beschuldigten (S 16 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 30) wird ein Massenphänomen angesprochen (im Jahr 2022 erfolgten 6.413 Verurteilungen wegen Suchtmitteldelikten [vgl Sicherheitsbericht 2022 S 66 f], wobei davon auszugehen ist, dass in der weit überwiegenden Zahl dieser Fälle zumindest ein Mobiltelefon sichergestellt und [iS der obigen Ausführungen] „ausgewertet“ wurde; gleiches gilt für weitere Massenphänomene wie etwa gefährliche Drohungen oder Nötigungen sowie Straftaten nach § 107a StGB im Wege elektronischer Kommunikation, Betrug mittels Whatsapp‑Nachrichten, § 207a StGB und ähnliches), welches mit dem aufwändigen Verfahren nach den §§ 115h, 115i und 115k StPO in praktischer Sicht kaum mehr zu bewältigen sein wird.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass gerade in solchen Fällen nach der herrschenden Praxis kaum jemals eine Kopie des gesamten auf dem Mobiltelefon gespeicherten Datenbestandes erfolgt, sondern sich die derzeit praktizierte Sicherstellung, Sichtung und Sicherung auf einige wenige relevante Daten (und dies allenfalls auch bloß durch Fotografie oder Ausdruck von Teilen eines Chats) beschränkt. Insoweit erscheint die in Aussicht genommene Verpflichtung zu einer umfassenden Sicherung (§ 115h StPO) und Speicherung (§ 115k StPO) von allen Daten auf allen zu beschlagnahmenden Mobiltelefonen geradezu konträr zur Zielsetzung des Verfassungsgerichtshofs im Erkenntnis vom 14. Dezember 2023, G 352/2021-46, just potentiell unbeschränkte Datenauswertungen zu reglementieren (vgl insb Rz 95).
Jedenfalls aber birgt das in §§ 115h und 115i StPO in Aussicht genommene Verfahren das Risiko erheblicher Verfahrensverzögerungen (die zu dem vergleichbaren Fall der zentralen Auswertung von Material iSd § 207a StGB durch die Kriminalpolizei ohnehin auch in den Erläuterungen angesprochen werden [S 20 = 4125/A 27. GP 33 f]; siehe dazu auch 14 Os 114/17x und 12 Os 132/10v [zu prognostizierten Auswertungszeiten von bis zu einem Jahr{!}]), was die – durch den Entwurf unter anderem auch bezweckte (S 4 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 18) – Beschleunigung der Verfahren in Strafsachen (siehe § 9 Abs 1 und [gerade in Fällen der Suchtgiftkriminalität von Relevanz:] Abs 2 StPO) konterkarieren würde. Dies umso mehr, als in Fällen des § 115f Abs 5 StPO gleichsam von einer Verdoppelung der Dauer der Datenaufbereitung auszugehen ist (vgl S 16 der Erläuterungen = 4125/A 27. 30): Legt beispielsweise ein Whatsapp-Chat Suchtgifthandel des Beschuldigten auch im Zeitraum vor dem gerichtlich bewilligten (aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zunächst eng begrenzten) Zeitraum nahe, so ist also – nach neuerlicher kriminalpolizeilicher Berichterstattung (§ 100 Abs 2 Z 2 StPO), neuerlicher staatsanwaltschaftlicher Anordnung und neuerlicher gerichtlicher Bewilligung (§ 115f Abs 5 iVm Abs 1 bis 3 StPO) – mit neuerlicher Aufbereitung der Daten nach § 115h Abs 1 StPO vorzugehen, bevor vom ermittelnden Kriminalbeamten (endlich) in den weiteren Teil eines Chats Einsicht genommen werden kann.
In Verfahren mit mehreren Beschuldigten droht durch die zu erwartende Dauer der Auswertung (vor allem in Verbindung mit den in § 115i Abs 2 StPO in Aussicht genommenen Einsichtsrechten) auch ein unwiederbringlicher Beweismittelverlust in Ansehung von noch auszuforschenden Mitbeschuldigten. Erhebliche Einschränkungen sind darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der – in der Praxis ganz wesentlich auf der „Auswertung“ von Chatnachrichten beruhenden – effizienten Bekämpfung von organisierter Kriminalität (§ 278a StGB) und terroristischer Straftaten (§§ 278b bis 278g StGB) zu befürchten, zumal völlig unabsehbar ist, wie der praktische Vollzug der §§ 115h und 115i StPO bei (in solchen Fällen regelmäßig gebotener) internationaler Kooperation der Strafverfolgungsbehörden im Rechtshilfeweg zu bewerkstelligen sein soll.
Mit Blick auf die Wahrung von Beschuldigtenrechten (zumal der Verfahrensfairness nach Art 6 MRK) bleibt schließlich anzumerken, dass die durch § 115h StPO zu erwartenden Verfahrensverzögerungen – gerade in den typischerweise mit Untersuchungshaft verbundenen Fällen der §§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2a und Abs 3 sowie 28a Abs 1 fünfter Fall SMG – in der Praxis leicht zu einem Druckmittel für die Gewährung einer freiwilligen Einschau mit anschließendem Vorgehen nach § 149 StPO (iSv S 18 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 31 f) werden könnten, wodurch die Bestimmungen der §§ 115f ff StPO dann gänzlich ins Leere laufen würden.
Vor diesem Hintergrund wird dringend angeregt, auf die in Aussicht genommene Bestimmung des § 115h StPO und auch auf die damit im Zusammenhang stehenden § 109 Z 2b bis 2e StPO und § 115 k StPO zu verzichten, die „Aufbereitung der Daten“ (iS deren Sicherung) – praktischen Bedürfnissen entsprechend – technologieoffen zu normieren und die Speicherung auf das für das Verfahren notwendige Maß zu begrenzen. Die (in der Praxis nicht regelmäßig [iSd vorgeschlagenen § 115h StPO] erforderliche Aufbereitung und die) Auswertung der Daten sollte in einem insoweit zu modifizierenden § 115i StPO durch die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft (unter Beiziehung geeigneter Hilfskräfte), in den Fällen des § 101 Abs 2 StPO durch das Gericht (unter Beiziehung geeigneter Hilfskräfte) oder durch einen (von der Staatsanwaltschaft oder vom Gericht [§ 104 Abs 1StPO]) zu bestellenden Sachverständigen erfolgen können, wobei (nur) in jenen Fällen, in welchen die „Auswertung“ der Daten über die bloße Einsichtnahme in Chatverläufe (und die Anfertigung von Ausdrucken oder Fotografien einzelner Nachrichten) hinausgeht, die genaue Art der „Aufbereitung der Daten“ (einschließlich einer allfälligen Wiederherstellung gelöschter Daten) entsprechend zu dokumentieren und diese zu sichern wären (iSv § 115h Abs 1 letzter Satz und § 115k StPO). Zu § 115f Abs 5 StPO wäre (wiederum technologieoffen) klarzustellen, dass jede Auswertung von nicht durch die bereits vorliegende gerichtliche Bewilligung umfassten Datenbeständen vorab neuerlich durch das Gericht zu bewilligen wäre.
Für die (in der Praxis gerade nicht hauptsächlich vorkommenden) Fälle der elektronischen Auswertung der Daten (iSd vorgeschlagenen § 115i StPO) bestehen keine Einwände gegen die genaue Dokumentierung der allenfalls eingesetzten Suchparameter und das Bezug habende Antragsrecht des Beschuldigten, auf die Auswertung anhand weiterer Suchparameter hinzuwirken (§ 115i Abs 1 erster Satz und Abs 2 erster Satz StPO). Auch die Möglichkeit des Beschuldigten zur Einsichtnahme in diese Daten begegnet mit Blick auf den Grundsatz des Fair-Trial keinen Bedenken, wobei die praktische Umsetzung der Einsichtnahme (vgl S 22 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 35 zur nicht intendierten Ausfolgung der betreffenden Datensätze) Schwierigkeiten bereiten kann, wenn dafür nicht ausreichend Räumlichkeiten, IT-Ausrüstung und Aufsichtspersonal zur Verfügung gestellt (und gleichzeitig die Möglichkeit der Übermittlung von Datenkopien ausgeschlossen) werden.
Im Zusammenhalt mit den vorgeschlagenen §§ 115j und 115l StPO erscheint sodann auch bei Verzicht auf § 115h StPO und die weiteren oben angeführten Bestimmungen insgesamt ein den Anforderungen des Verfassungsgerichtshofs in seinem Erkenntnis vom 14. Dezember 2023, G 352/2021-46, entsprechender Rechtszustand gewährleistet.
– zu Art 1 Z 3 bis 5, 7, 10, 27, 28, 59, 60 und 62 (§§ 1 Abs 2, 28 Abs 2, 31 Abs 6 Z 3, 91 Abs 2, 100 Abs 3a, 190 und 197a bis 197c StPO samt Inhaltsverzeichnis und Überschriften):
Die beabsichtigte Vereinfachung der Beendigung des Ermittlungsverfahrens (§ 190) wird ausdrücklich begrüßt. Vor dem Hintergrund der in den Erläuterungen (S 26 ff der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 39 ff) aufgezeigten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Abgrenzung des Vorgehens nach § 35c StAG und jenem nach § 190 Z 1 und 2 StPO sowie mit Blick auf die intendierte (inhaltlich) weitgehende Angleichung der Bestimmungen über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens (§ 190 StPO) und jenen über das Absehen von der Einleitung eines solchen (§§ 197a bis 197c StPO) erscheint indes ein Mehrwert der Beibehaltung dieser Unterscheidung insgesamt nicht mehr gegeben:
In beiden Fällen sollen künftig Verdächtiger und Beschuldigter dieselben Rechte haben (§ 197b Abs 1 zweiter Halbsatz iVm §§ 51 bis 53 StPO), für die Staatsanwaltschaft dieselben Verständigungspflichten gelten (§ 197b Abs 2 iVm § 194 Abs 3 StPO) und Opfer (im Wesentlichen) dieselbe Möglichkeit haben, eine gerichtliche Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung zu erwirken (§ 197c iVm §§ 195 und 196 StPO), was gerade durch die in §§ 197a bis 197c StPO durchwegs enthaltenen Verweisungen auf die im Ermittlungsverfahren geltenden Bestimmungen besonders deutlich zum Ausdruck kommt.
Inwieweit die §§ 197a ff StPO geeignet wären, zu verhindern, dass Menschen ohne Anlass zum Objekt eines Strafverfahrens werden (so die in EBRV 181 BlgNR 25. GP 22 zum Ausdruck gebrachte Zielsetzung des § 35c StAG), ist im Übrigen nicht zu erkennen, weil auch die Beurteilung des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bereits Teil des Strafverfahrens ist (§ 1 Abs 2 StPO; Ratz, Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO2 Rz 38 mwN). Was hingegen die „öffentliche Brandmarkung“ iS einer medialen Stigmatisierung nach medialer Berichterstattung über eine Anzeigenerstattung betrifft, war und ist die Unterscheidung zwischen einem „Verdächtigen“ und einem „Beschuldigten“ (vgl dazu EBRV 181 BlgNR 25. GP 2 f) in keiner Weise geeignet, eine solche zu vermeiden, weil ein durchschnittlich informierter Medienkonsument (vgl RIS-Justiz RS0067271) im Umfang dieser – juristisch komplexen, auch nach neunjähriger Praxis immer noch nicht unwesentliche Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfenden (so S 27 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 41) – Frage nicht trennscharf zu differenzieren vermögen wird, woran auch eine besonders „präzise“ Medienarbeit der Staatsanwaltschaften (so die Forderung S 30 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 43) nichts ändern kann.
Die in den Erläuterungen (S 30 [= 4125/A 27. GP 44]) vertretene Auffassung, dass eine „Integration der nach § 35c StAG zu erledigenden Fälle in § 190 StPO […] aus systematischen Gründen nicht möglich“ sei, weil „eine Einstellung nach §§ 190 bis 192 StPO doch immer ein bereits begonnenes Ermittlungsverfahren“ voraussetze, übersieht, dass diese (rechtliche) Schlussfolgerung – nicht etwa auf logisch zwingenden und faktisch unveränderlichen Gegebenheiten, sondern (bloß) – auf einer Wortinterpretation des § 190 StPO beruht, der in seiner geltenden Fassung (BGBl I 2004/19) in Z 1 und Z 2 die „weitere“ (mithin bereits von Seiten der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft durch Ermittlungen oder Zwangsmaßnahmen begonnene) Verfolgung nennt (dazu 17 Os 13/13k [1 Präs 2690-2113/12i] = RIS-Justiz RS0127792 [T1]). Durch Entfall der Wendung „weitere“ in § 190 StPO könnte dieses „systematische“ Hindernis ohne Weiteres beseitigt und damit eine wesentliche Vereinfachung der Nichteinleitung des Ermittlungserfahrens und dessen Einstellung erreicht werden. Zur Vermeidung von „Doppelgleisigkeiten“ der §§ 190 ff und 197a ff StPO wird daher zur Erwägung gestellt, § 190 StPO im Sinne einer einheitlichen Erledigungsform wie folgt zu formulieren:
„§ 190. Die Staatsanwaltschaft hat von der Verfolgung einer Straftat abzusehen und das Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, seine Verfolgung aus rechtlichen Gründen unzulässig ist oder kein tatsächlicher Grund zu seiner Verfolgung besteht“.
Damit wären die bisherigen Bereiche des § 35c StAG („Absehen von der Verfolgung“) wie auch jene des § 190 StPO („das Ermittlungsverfahren einzustellen“) umfasst und könnten die in §§ 1 Abs 3 (unter Neuformulierung von Abs 2 leg cit), 48 Abs 1 Z 1 (unter Neuformulierung von Z 2 leg cit) und 91 Abs 2 letzter Satz StPO sowie § 35c StAG enthaltenen Bestimmungen samt allen Bezug habenden in Aussicht genommenen Änderungen entfallen.
Ein Mehraufwand gegenüber den vorgeschlagenen Bestimmungen ist insofern nicht zu ersehen, als vermehrt zu erwartende Anträge nach § 195 StPO weitgehend dem durch § 197c StPO zu erwartenden Bedarf entsprechen werden und überdies (durch die Aufhebung des § 35c StAG neuerlich) notwendige Abgrenzungen und Auslegungsdivergenzen (etwa zu § 91 Abs 2 StPO) entfallen.
– zu Art 1 Z 8, 31 und 32 (§§ 31 Abs 1 Z 5, 108 und 108a StPO):
Das durch die Neuregelung des § 108 StPO intendierte Ziel der Verfahrensvereinfachung wird ausdrücklich begrüßt. Da in Ansehung der Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens aber lediglich die erste amtswegige Prüfungsverpflichtung durch die Staatsanwaltschaft entfällt (§ 108 Abs 6 StPO) und die bisher zur Verfügung stehenden Fristen verkürzt werden, erscheint fraglich, inwieweit der angestrebte Zweck mit den in Aussicht genommenen Änderungen tatsächlich erreicht werden kann.
Zu § 108 Abs 4 letzter Satz StPO ist anzumerken, dass gerichtliche Aufträge zur Verfahrensbeschleunigung zu nicht auflösbaren Widersprüchen zu allfälligen divergierend angeordneten Maßnahmen der Fach- und Dienstaufsicht (§§ 8 f und 29 f sowie 37 StAG) führen können.
– zu Art 1 Z 36 (§ 109 Z 1a StPO):
Da der Urkundenbegriff im österreichischen Strafrecht nach wie vor nur schriftliche Urkunden umfasst (§ 74 Abs 1 Z 7 StGB; vgl RIS-Justiz RS0092142 sowie RS0130519), wird angeregt, in § 109 Z 1a StPO die Wendung „Urkunden in jeder Form,“ durch die Wendung „Urkunden in jeder Form und Daten,“ zu ersetzen, um sicherzustellen, dass auch elektronische und digitale „Urkunden“ vom Begriff des Vermögenswerts umfasst sind (vgl S 38 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 51).
– zu Art 1 Z 6, 12 und 15 (§§ 27, 37 Abs 4 und 49 Abs 1 Z 13 StPO):
Zur in Aussicht genommenen Änderung des § 27 StPO enthalten die Erläuterungen keine Ausführungen dazu, welche Bedeutung schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen (§ 1 Abs 1 DSG) eines Beschuldigten im
Rahmen der (pflichtgebundenen) Ermessensentscheidung nach § 27 StPO (Nordmeyer, WK‑StPO § 27 Rz 3; zum Hauptverfahren vgl RIS-Justiz RS0131855; Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 13) gegenüber den Interessen weiterer Beschuldigter an einer gemeinsamen Verfahrensführung einzuräumen ist.
Mit Blick auf § 28 Abs 1 StGB wird davon auszugehen sein, dass deren Interesse auf eine möglichst einheitliche Erfassung und Aburteilung zusammengehöriger Sachverhalte (auch unter dem Aspekt der Verfahrensökonomie und der Förderung der Wahrheitsfindung) prävaliert. Hat demnach Beschuldigter A gemeinsam mit dem Beschuldigten B eine und mit dem Beschuldigten C eine weitere Straftat begangen, so werden wechselseitige Geheimhaltungsinteressen von B und C regelmäßig hinter dem Interesse des Beschuldigten A an einer (zufolge subjektiver Konnexität:) einheitlichen Aburteilung aller ihm zur Last liegenden Taten zurückzutreten haben.
Die Schaffung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage für die Verfahrenstrennung im Stadium des Hauptverfahrens in § 37 Abs 4 StPO ist grundsätzlich zu begrüßen. Soweit dem Angeklagten durch § 49 Abs 1 Z 13 StPO allerdings ein subjektives Recht darauf eingeräumt wird, erscheint fraglich, inwieweit eine solche Trennung des Verfahrens auch künftig weiterhin mit prozessleitender Verfügung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO; dazu RIS-Justiz RS0130527) erfolgen können wird, weil solche Verfügungen typischerweise nur Entscheidungen sein können, die nicht unmittelbar in (subjektive) Rechte anderer eingreifen und an deren Begründung oder Anfechtung somit niemand ein berechtigtes Interesse haben kann (dazu Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 5.186; vgl auch RIS-Justiz RS0053805 [T8]).
Da gerichtliche Entscheidungen nach ihrem Wesen bestimmt werden (RIS-Justiz RS0106264 [T3]), ist nicht auszuschließen, dass auch eine – dann subjektive Rechte des Angeklagten betreffende – (außerhalb der Hauptverhandlung [§ 238 StPO; RIS-Justiz RS0125707] gefasste) gerichtliche Entscheidung (zum intendierten Einspruchsrecht des Beschuldigten gegen die staatsanwaltschaftliche Entscheidung siehe ausdrücklich S 44 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 57) über die Verfahrenstrennung künftig den Anforderungen nach § 86 Abs 1 StPO zu genügen haben (und nach § 87 Abs 1 StPO anfechtbar sein müssen) wird.
– zu Art 3 Z 3 (§ 48a GOG):
Da § 48a Abs 1 GOG auf die Bestimmungen des OGHG verweist, ist darauf hinzuweisen, dass es sich nach ständiger Rechtsprechung bei der Anordnung der Anonymisierung von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs nach § 15 Abs 5 OGHG (bzw jener des Verwaltungsgerichtshofs nach § 43 Abs 8 VwGG) um Akte der Rechtsprechung handelt (siehe RIS-Justiz RS0125183 [T3] und RS0132058). Dies steht im Widerspruch zur in Aussicht genommenen Fassung des § 48a Abs 4 GOG, die insoweit Akte der monokratischen Justizverwaltung vorsieht (so ausdrücklich S 56 der Erläuterungen = 4125/A 27. GP 69).
Zur wirkungsorientierten Folgenabschätzung ist zu bemerken, dass sich der zu erwartende Mehranfall auf der Rechtsmittelebene und der daraus resultierende personelle Mehrbedarf (vgl dazu Vorblatt und wirkungsorientierte Folgenabschätzung S 23 f sowie 4125/A 27. GP 71) spätestens ab dem zweiten Halbjahr 2025 auch auf der Ebene der Generalprokuratur auswirken wird, weil eine abschließende Klärung der durch die zahlreichen in Aussicht genommenen gesetzlichen Änderungen neu aufgeworfenen Rechtsfragen durch höchstgerichtliche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vielfach erst im Wege der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 Abs 1 StPO) erfolgen kann und daher mit einer verstärkten Befassung der Generalprokuratur zu rechnen ist.
Wien, am 26. Juni 2024
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